Die Diagnose

Grafik: Bonny Williams
Grafik: Bonny Williams

 

Ich habe lange überlegt, wie viel ich über die Krankheit, an der unser Kind leidet, hier preisgeben soll. Ich habe euch so viel über den Verlauf meiner Schwangerschaft und die Diagnosen, die mittels Pränataldiagnostik gestellt wurden, auf meinem Blog erzählt. Heute will ich euch endlich über die Diagnose berichten, die unserem Baby gestellt wurde.

 

 

 

Als unser kleiner Bub am 19. April 2017, heute genau vor drei Monaten, geboren wurde, wusste im ersten Moment keiner so recht, was die Ursache für seine Vielzahl an Fehlbildungen sei. Bei einem der ersten Gespräche mit einem Kinderarzt gleich nach der Entbindung wurde meinem Freund ein Syndrom genannt, auf welches die Kombination der betroffenen Organsysteme hindeuten würde. Mein Freund und ich beschloßen, das Syndrom, auf das wir kein einziges Mal bei unserer Internetrecherche während meiner Schwangerschaft gestoßen waren, aus Selbstschutz vorerst nicht zu googeln. Die ersten Wochen blieben wir in der Vermutung, dass B. an diesem Syndrom leide, über welches wir so gut wie nichts wussten.

 

Etwa einen Monat nach der Geburt von B. hatten wir ein erneutes Arztgespräch. Wieder kam der Arzt auf die Ursache für B.s Gesundheitszustand zu sprechen. Diesmal nannte er uns ein anderes Syndrom. Wir kannten es beide.

 

Nicht nur einmal waren wir während meiner Schwangerschaft auf dieses Syndrom gestoßen. Bitte nicht das - dachte ich mir jedes Mal wenn ich die bereits gestellten Diagnosen eintippte und Google mir dieses Syndrom ausspuckte.

Bis auf Trisomie 13 und 18 klang für mich kein anderes Syndrom schlimmer.

 

Einen Tag nach dem Arztgespräch wurde meinem Freund, unserem Kleinen und mir Blut abgenommen. Bis wir das endgültige Ergebnis hatten, vergingen Wochen.

 

Doch dann hatten wir endlich das Ergebnis. Endlich wussten wir, was die Ursache für alles war, das wir bis jetzt erlebt hatten. Der Grund für meine furchtbare Schwangerschaft, der Grund für so viel Angst und so viel Leid. Doch vor allem auch der Grund dafür, dass unser Kind schwerkrank zu Welt gekommen war.

 

Unser Kleiner hat das Smith-Lemli-Opitz Syndrom.

 

Es handelt sich dabei um eine sehr seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, bei der der Körper nicht oder kaum in der Lage ist Cholesterin zu produzieren. Cholesterin ist im Körper für den Aufbau der Zellmembran, für wichtige Stoffwechselvorgänge, zur Bildung von Vitamin D, für spezielle hormonelle Vorgänge etc. notwendig.

Das SLO-Syndrom, wie es abkürzend genannt wird, beruht auf einem autosomal-rezessiven Erbgang. Das heißt, dass die Krankheit nur ausbricht, wenn beide Elternteile Träger des fehlerhaften Gens sind. Ist nur ein Elternteil Träger, dominiert das gesunde Gen des anderen Elternteils und die Krankheit bricht nicht aus.

 

Bei uns beiden wurde die Trägerschaft des DHCR7 Gens im Blut bestätigt. Indem wir beide dieses fehlerhafte Gen an unser Kind weitergegeben haben, leidet es am SLO Syndrom. Für weitere gemeinsame Kinder beträgt die Chance wieder an diesem Syndrom zu erkranken bei 25%.

 

Bild: Autosomal-rezessiver Erbgang
Bild: Autosomal-rezessiver Erbgang

 

Das SLO-Syndrom fällt auf etwa 1 von 60 000 Geburten. Es gibt etwa 800 betroffene Patienten weltweit.

 

Pränatal kann das Syndrom nur festgestellt werden, wenn man direkt auf dieses spezielle Gen testet. Hat man jedoch keine Ahnung, wonach man testen soll, ist es unmöglich das Syndrom mittels Amniozentese, Chorionzottenbiopsie oder Array-Test festzustellen.

 

Die Bandbreite an den verschiedensten Ausprägungen beim SLO-Syndrom ist riesig. Typisch für das SLO-Syndrom sind die zusammengewachsenen 2.und 3. Zehen, welche so gut wie jeder SLO-Patient hat. Außerdem leiden etwa 95% der SLO-Patienten an einer geistigen Beeinträchtigung. Hat ein Patient keinerlei Organfehlbildungen, so ist eine normale Lebenserwartung gegeben. Die meisten Patienten mit schweren Organfehlbildungen (SLOS Typ 2) versterben jedoch entweder noch im Mutterleib oder im frühen Säuglingsalter. Unser Kleiner leidet an der schwersten Form von SLOS. Er hat fast alle Symptome, die bei SLO auftreten können. Der Grund dafür liegt in der Ausprägung des defekten Gens welches wir, seine Eltern, tragen. Es handelt sich dabei um eine Stopmutation- das Gen hört an einem gewissen Punkt einfach auf seiner Funktion nachzugehen.

 

Bekämen wir ein weiteres Kind mit SLO wäre dieses vermutlich ebenfalls sehr schwer betroffen.

 

Es gibt keine Heilung für das Smith-Lemli-Opitz Syndrom, man kann nur versuchen die Symptome zu bekämpfen. SLO-Patienten wird Cholesterin verabreicht. Es kann jedoch Monate dauern, bis dieses vom Körper resorbiert wird. Wie hilfreich die Gabe von Cholesterin ist, ist umstritten. Vermutet wird, dass es in der Lage ist, die Verhaltensauffälligkeiten bei SLO-Patienten zu mildern.

 

Wir sind sehr stolz, wie weit es unser Kleiner unter diesen Voraussetzungen schon geschafft hat. Nicht nur wir kämpfen bereits seit Monaten um ihn, vor allem ER ist ein großer Kämpfer. Er ist momentan immer noch auf der NICU, die Infektion ist jedoch wie es momentan aussieht bereits eingedämmt. Wenn alles gut geht, kommt er nächste Woche wieder zurück auf die IMC. Vielleicht schaffen wir es dann irgendwann, ihn - mit viel pflegerischer Unterstützung - mit nach Hause zu nehmen.

 

Bild: Autosomal-rezessiver Erbgang. Quelle: http://www.gaucher.de/morbus-gaucher/wie-wird-morbus-gaucher-vererbt.html

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Kommentare: 4
  • #1

    Anne (Donnerstag, 20 Juli 2017 20:50)

    Liebe Jasmin, es tut mir unendlich leid, nun lesen zu müssen wie wenig Hoffnung für euren Kleinen besteht, irgendwann einmal doch ein unbeschwertes und gesundes Leben führen zu dürfen. Ich habe deinen Blog verfolgt und immer gehofft, dass sich doch am Ende manches als weniger schlimm darstellen wird als befürchtet - ich hätte es euch so so sehr gewünscht.
    Ich habe von Anfang an deine Tapferkeit und deine Stärke bewundert und glaube, dein Kleiner kann sehr stolz und glücklich sein, eine so besondere Mutter zu haben. Ich hoffe, dass euch trotz allem noch viel gemeinsame Zeit vergönnt ist und du diese wunderbare und seltene Kraft behältst, hinter all dem Schrecklichen, das ihr durchmachen müsst, auch etwas positives zu erkennen - die Liebe zu deinem Kind.
    Ich bewundere dich sehr für deine Stärke und wünsche euch alles Glück der Welt.

  • #2

    D. (Mittwoch, 26 Juli 2017 21:50)

    Liebe Jasmin!

    Ich wünsche euch viele Momente des gemeinsamen Glücks, die ihr ja ohnehin schon so bewusst zu sammeln scheint.
    Danke, dass du uns an euren Erfahrungen ein wenig teilhaben lässt!

    Alles Liebe für euch drei!

  • #3

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Freitag, 28 Juli 2017 21:37)

    Liebe Anne!

    Danke für deine lieben Worte, auch ich habe immer gehofft dass sich alles nur als riesengroßer Irrtum herausstellt und alles weniger schlimm ist, als uns diagnostiziert wurde. Leider stellte sich aber das Gegenteil heraus und die Hälfte wurde trotz Untersuchungsmarathon erst übersehen. Wir sind aber immer noch davon überzeugt, dass wir unter den damaligen Vorraussetzungen richtig entschieden haben. Nie hätten wir darauf verzichten wollen, unseren kleinen, besonderen Schatz kennenzulernen. Auch wenn diese Kennenlernzeit nur 97 Tage dauerte, so wird der Kleine immer unsere ganz große Liebe bleiben, für die wir auch weiterhin alles getan hätten und die wir jetzt unheimlich vermissen.

    Ganz liebe Grüße,
    Jasmin

  • #4

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Freitag, 28 Juli 2017 21:45)

    Liebe D.!

    Ich danke dir! Das stimmt, wir haben jeden einzelnen Moment mit unserem Kleinen sehr intensiv und bewusst genossen, auch da wir gewusst haben, dass es jederzeit vorbei sein kann. Leider traf es uns am Sonntag trotzdem unerwartet schnell, als sein Zustand sich plötzlich rapide verschlechterte. Es war uns nur eine sehr kurze, gemeinsame Zeit geschenkt, die wir aber unter den Vorraussetzungen, die er hatte, als Wunder betrachten.

    Alles Liebe,
    Jasmin