PID - Präimplantationsdiagnostik oder die Hoffnung auf ein Wunder

Ich hatte lange nicht vor, einen Beitrag zu unserer PID zu verfassen. Erstens wusste ich nicht, ob es zu privat wäre, zweitens handelt es sich um ein ethisch sehr umstrittenes Thema. Jetzt, da etwas Zeit verstrichen ist, seit wir die PID beendet haben, denke ich, es wäre trotzdem sinnvoll, davon zu erzählen. So viele betroffene Mütter, die ebenfalls ein Kind verloren oder eine ähnliche Diagnose wie ich in der Schwangerschaft erhalten haben, meldeten sich bei mir als Resonanz auf meinen Blog. Immer noch schreiben mir Mamas aus den verschiedensten deutschsprachigen Regionen, wie sehr ihnen meine Einträge geholfen haben, und fühlen sich durch meine Worte verstanden und weniger allein. Sucht man im Internet nach Erfahrungsberichten zur PID, ist es, als sucht man die Nadel im Heuhaufen. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, unsere Geschichte dazu zu veröffentlichen. Ich bin keine Expertin zum Thema PID, daher sind alle meine Angaben ohne Gewähr.

 

Ein Kind zu verlieren ist das Beschissenste, Niederschmetterndste, Herzzereißendste, Zerstörerischste, das einem passieren kann. Dieses aufgrund einer genetisch vererbbaren Krankheit zu verlieren, mit dem Risiko, dass mit dem nächsten Kind genau das selbe passiert, ist denke ich - ohne jemandem zu Nahe treten zu wollen - für jedes Kinderwunschpaar noch einmal eine Stufe weiter auf der Unglücksleiter. Sozusagen ein doppelter Negativ-Jackpot. Und da ist sie, die PID, der scheinbar rettende Anker in der Not, in unserem technisch fortschrittlichen Zeitalter.

 

Präimplantationsdiagostik heißt sie ausgeschrieben und bezeichnet das Einsetzen eines oder mehrerer Embryonen in die Gebärmutter, die vorher einer genetischen Untersuchung unterzogen werden, alles im Rahmen einer künstlichen Befruchtung (IVF).

 

Wie unwahrscheinlich es ist, damit jemals in Kontakt zu kommen, wird erkennbar, wenn man sich Statistiken für PID in den letzten Jahren ansieht (Google ist dein Freund). Laut unserem genetischen Berater waren es überhaupt nur knapp unter 10 Paare in Österreich, bevor wir unsere Unterschriften auf den Vertrag setzten. Gesetzlich erlaubt ist die PID in Österreich seit Anfang 2015, unter besonderen (sehr strengen) Voraussetzungen, wie etwa tödlich endenden Erkrankungen. In Deutschland ist die Gesetzeslage wieder eine andere, ich bin aber wie gesagt keine Expertin.

 

Die PID ist für Kinderwunschpaare mit wissentlich vorliegenden, genetischen Veränderungen im Erbgut in etwa so etwas wie die Vollkaskoversicherung nach einem Totalschaden. So drückte es meine Gesprächstherapeutin auf den ersten Blick etwas harsch aus, ich finde den Vergleich jedoch ziemlich treffend. Die PID vermittelt - betrachtet man das Prozedere rein oberflächlich - eine Absicherung, dass man nicht dabei zusehen muss, wie die "genetische Lotterie" womöglich erneut zuschlägt.

 

Den Totalschaden hatten wir bereits unwiderruflich erlitten - unser Basti, unser erstes und einziges Kind, die größte Liebe unseres Lebens, war uns für immer genommen worden. Wegen eines einzigen, beschissenen, minimalen, bis jetzt absolut unbeachteten Abschnitts, zufällig absolut ident auf unserer beider DNA. Ich konnte mir nicht vorstellen, das alles noch einmal durchzumachen. Der Gedanke daran, wieder mit einem Kind mit derselben Erkrankung schwanger zu werden, verursachte mir Panikattacken. Aber der Schmerz in meiner Brust war unbeschreiblich. Mein Kind fehlte mir mit jeder Faser meines Körpers. Basti hatten wir für immer verloren, aber irgendwo da Draußen im großen, weiten Universum, gäbe es vielleicht noch dieses Kind, das als Bastis Geschwisterchen zu uns käme und uns ein bisschen trösten würde. Mit dem wir endlich all das leben könnten, was uns 2017 nicht gegönnt war.

 

Im November 2017, vier Monate nach Bastis Tod, unterzeichneten wir den Antrag auf PID. Wir wurden darüber aufgeklärt, dass unser Fall einer Ethikkomission zur Überprüfung vorgestellt werden würde, was etwa sechs Monate in Anspruch nehmen würde. Nebenbei wäre das ganze Prozedere alles andere als billig. Aber das war uns egal. Die Aussicht auf eine unkomplizierte Schwangerschaft mit einem am Ende gesunden Kind im Arm, es gäbe nichts, was wir dafür nicht getan hätten. Ohnehin war ich psychisch mehr als labil, und eine natürliche Schwangerschaft mit 25% Risiko auf SLO (Bastians Syndrom, Smith-Lemli-Opitz) war für mich in meiner Situation undenkbar.

 

Im Sommer 2018 und nach einer langen Zeit des Wartens war unser Antrag bewilligt. Endlich konnten wir den lang ersehnten Termin in einem Kinderwunschzentrum vereinbaren. Das Projekt Geschwisterchen für Bastian konnte losgehen.

 

Es gibt Statistiken, dass die Wahrscheinlichkeit pro Versuch mittels PID schwanger zu werden etwa bei 70-75% liegt. Ich war erst knapp über 30 und bereits einmal auf natürlichem Weg schwanger gewesen, hormonell und organisch war alles in Ordnung, die Chancen standen also mehr als gut. Vermutlich würde es gleich beim ersten Mal klappen, so mein Arzt. Im August 2018, nach einigen Voruntersuchungen, begann ich mit der Hormonbehandlung.

 

Wie bei einer normalen IVF werden mittels Hormongabe mehrere Follikel im Eierstock gebildet, die (teilweise) Eizellen enthalten und anschließend unter kurzer Vollnarkose entnommen werden. Ich reagierte anfangs gut auf die Hormongaben. Auch mein Arzt war zufrieden, es hatten sich viele Follikel gebildet und es wurde ein Termin zur Eizellentnahme festgelegt. 11 Eizellen konnten punktiert werden, ein gutes Ergebnis. Unser Genetiker hatte in den vergangenen Monaten eine Gensonde entwickelt, um unsere Embryonen nach der exakten Genveränderung untersuchen zu können, die mein Partner und ich vererben. Damit er diese untersuchen könne, müssten die Embryonen jedoch Blastozystenstatus erreichen (5 Tage alt). Von anfangs 11 Embryonen hatten wir am Ende 3 Blastozysten von sehr guter bis guter Qualität übrig, die nun untersucht werden würden.

 

Nach etwa zwei Monaten (normalerweise dauert es ca. 4 Wochen) hatten wir das Ergebnis, dass keines unserer Embryonen die Genveränderung für das SLO- Syndrom in sich trägt. Wir machten Freudensprünge.

 

Der erste Embryotransfer wurde für November 2018 angesetzt. Der Transfer verlief bei mir schmerzhaft und laut Ärzten aufgrund der Anatomie meiner Kaiserschnittnarbe kompliziert. Aber endlich konnten wir unseren ersten Embryo mit nach Hause nehmen. Nachdem ich keine zwei Wochen später mein Blut zur Bestimmung des HCG-Werts abgegeben hatte, brach ich in Tränen aus. Es waren Freudentränen, denn schon bald würden sie mich anrufen, dass ich schwanger bin... Oder doch nicht?

 

Endlich würde unser Leben wieder die richtige Richtung einschlagen. Meine Hoffnung war unendlich groß, in meinem Kopf waren Hirngespinste von drei gesunden Embryonen - das wären ja dann bei unseren guten Chancen wohl drei Kinder. So viele hatte ich mir immer gewünscht. Mit Basti wären es dann sogar vier.

 

Es ist August 2019. Ein Jahr nachdem ich meine erste Spritze in meinen Bauch gesetzt hatte. Es war ein Jahr voller unzähliger Termine im Kinderwunschzentrum. Voller Hoffnung auf ein Wunder, die zerschellt ist wie Seifenblasen an einer Wand. Voller Nebenwirkungen während neun Monaten Hormonbehandlungen inklusive einem Krankenhausbesuch, der bei mir ganz schlimme Erinnerungen an die Krankenhauszeit mit Basti ausgelöst hatte. Nebenbei hatten wir viel Geld gezahlt. Drei Transfers augenscheinlich gesunder Embryos, drei negative Schwangerschaftstests. Bzw. zuletzt im April eine kurze Einnistung, die zu früh vorbei war. Meine Basti-Wunden, immer wieder tiefer eingerissen, bei jedem Negativ, das mir verkündet wurde. Und ich wusste, mein Körper kann nicht mehr. Er kann das doch alles von selbst: Schwanger werden, Hormone bilden, und jetzt versuchten wir mit aller Kraft ihn auszutricksen. Mein Körper streikte, gegen monatelang 10 Tabletten am Tag, mehrmalige Antibiotikagabe, Cortison usw. Ich konnte nichts mehr essen, von allem wurde mir schlecht, konnte letzendlich nicht mehr schlafen. Ich musste aufhören, mir das alles anzutun, die Entscheidung stand fest. Nach dem dritten negativen Versuch im April 2019, ein paar Tage nach Bastis zweitem Geburstag, galt das Experiment PID für mich als beendet.

 

Ich wusste nun, wie es ist eine künstliche Befruchtung über sich ergehen zu lassen. Für uns waren es nur neun Monate, ich weiß, das ist nichts ist im Vergleich zu vielen anderen Frauen, die auf eine IVF angewiesen sind, ich zolle ihnen meinen größten Respekt. Vielleicht denken manche, wir hätten zu früh aufgegeben, aber für mich war es der richtige Zeitpunkt.

 

Würde ich das Ganze wieder tun? Wahrscheinlich ja. Die Hoffnung auf das, was hätte kommen können, war es wert. Es hätte auch anders ausgehen können, wie bei vielen anderen Betroffenen. Es ist gut, dass es die Möglichkeit gibt, vielleicht auch für unsere Zukunft, sollten wir uns irgendwann wieder dazu entscheiden. Es war wieder eine Erfahrung, in drei schwierigen Jahren. Vor genau drei Jahren war ich schon schwanger mit Basti, in zwei Tagen, am 24.8.2016 würde ich es erfahren. Es war der einzige positive Test, den ich bis jetzt in Händen hielt, auch wenn uns die PID so viel Hoffnung gemacht hatte.

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Verena Sophie (Sonntag, 08 September 2019 21:16)

    Danke, dass du all das erzählst und eurer Erfahrungen mit anderen Kinderwunschpaaren teilst. So wenig ist über diese belastenden Behandlungen bekannt. Wie sehr habe ich euch gewünscht dass es für euch einen baldigen Hoffnungsschimmer gibt ein RegenbogenBaby. ..Geschwisterchen für euren Basti.
    Ich bin erst heute auf diesen Beitrag gestoßen. Euer Schmerz die schlimmen Erinnerungen alles ist so greifbar. Ich umarme dich aus der Entfernung.

  • #2

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Montag, 09 September 2019 17:05)

    Liebe Verena!!

    Ich freue mich sehr, wieder einmal von dir zu lesen!! Ja ich dachte mir eben, dass es viel zu wenig Berichte zu diesem Thema gibt, und doch ist es so wichtig für Betroffene, die überlegen ob eine PID für sie in Frage kommen würde. Vielen Dank für deine lieben Worte!! Auch wir hätten sehr dringend ein Regenbogenbaby gebraucht denke ich, es hätte uns bestimmt so manches erleichtert. Aber man hat es scheinbar nicht in der Hand!
    Ich umarme dich zurück meine Liebe!

  • #3

    Petra (Mittwoch, 02 Oktober 2019 11:45)

    Liebe Jasmin,
    Dein Bericht über die PID ist sehr ergreifend.
    Ich denke immer wieder an dich und deine Familie und wünsche dir einen Regenbogen, der vielleicht gerade dann kommt, wenn du es nicht (mehr) erwartest.
    alles Liebe aus dem Nanaya,
    Petra

  • #4

    Laura (Montag, 30 Dezember 2019 13:05)

    Liebe Jasmin,

    dein Beitrag geht mir sehr nahe. Es tut mir wahrlich sehr sehr leid, dass du deinen kleinen Basti ziehen lassen musstest.
    Auch ich kenne das Gefühl. Mein zweites Kind hat ebenfalls einen von uns (bis dahin unwissentlichen) Gendefekt vererbt bekommen. Wir befinden uns derzeit in der Achterbahn der PID in Deutschland und starten demnächst in unsere 4. Runde des Sammelns... Wir lassen neben dem Defekt auch die Chromosome untersuchen und hoffen auf ein paar gesunde Blastos; ich möchte es ebenso sehr wie du, nochmal ein gesundes kleines Baby in den Armen halten! Alles Glück der Welt ���