Wie es sich anfühlt sein Kind zu verlieren - Siebzehn Monate später

 

Ich habe nicht mehr so oft das Bedürfnis zu Schreiben, weil ich oft denke, es ist alles schon tausendmal gesagt, oder dass mir einfach die Worte fehlen, wenn ich an alles zurückdenke. Es waren so viele Sachen schwer, eigentlich unmachbar. Das Abschied nehmen. Das Aufstehen. Atmen. Weitermachen. Das Zusehen, beim Glück der Anderen. Nicht aus Missgunst, sondern weil ich einfach alles dafür gemacht hätte, um das Selbe erleben zu dürfen. Das sich völlig verloren fühlen, sich völlig anders fühlen, sich unverstanden fühlen, weil einfach niemand fühlt wie du, weil deinen Schmerz einfach nur du kennst. Weil nur du allein deinen Schmerz durchstehen musst. Auch wenn dir viele Menschen zur Seite stehen, dir versuchen zu helfen, ist da immer diese unsichtbare Barriere zwischen euch. Die vielen gut gemeinten Ratschläge, oder die immer wiederkehrenden, neuen Verkündungen von Schwangerschaften, oder dass das Baby gesund in den Armen der Eltern gelandet ist. Und du es einfach nicht und nicht verstehst, es tausend mal in Gedanken durchläufst, wieso es bei dir so völlig anders verlaufen musste. Die immer wiederkehrende Frage nach Schuld, wer ist Schuld? Wer zur Hölle ist daran Schuld, dass ich nicht mehr weiß, wie ich jetzt noch weitermachen soll? Wenn du am liebsten einfach nur schreien würdest: Was zur Hölle hab ich verbrochen, was haben wir nur verbrochen? Der nie endende Teufelskreis von Fragen, oder die immer wieder plötzlich auftauchenden Gedankenfetzen, von Momenten aus dem Krankenhaus, die mir immer noch Gänsehaut bescheren. Der Blick über die Stadt, als die Sonne aufging, die Menschen zur Arbeit fuhren, ihre Arbeit verrichteten, und am Abend wieder nach Hause fuhren, als alles seinen geregelten Ablauf nahm, während wir nach Hause gingen, in ein leeres Haus, und die Sachen, die noch nach unserem Baby rochen, für immer in eine Schublade verräumten.

 

Trauer, wird es dann genannt. Trauer, über einen Verlust. Trauer. Was für ein lächerliches Wort. Genauso wie Verlust. Einen Verlust erleiden. Was soll das denn heißen? Dieses Wort, das so kühl und förmlich klingt, das sollte meine Gefühlslage beschreiben? Nicht ansatzweise konnte es irgendetwas davon ausdrücken, was ich erlitten hatte oder was im Herzen einer Mutter vorgeht, die ihr Kind verloren hat.

 

Es sind siebzehn Monate vergangen, bald steht der zweite Geburtstag ohne das Geburtstagskind ins Haus. Und mittlerweile bin ich so oft die Trauer leid. Dieser so wichtige Begleiter, der meine Hand für mein restliches Leben nicht loslassen wird. So oft kann ich ihn nicht mehr sehen. Ich halte ihn nicht mehr aus. Ich liebe ihn, und hasse ihn gleichzeitig. Ich brauche ihn, doch kann ich ihn oft nicht ertragen. Ich will nichts Trauriges mehr lesen. Halte die Schicksale von Anderen nicht aus. Habe so oft den Wunsch, wieder normal zu sein, ohne es doch in Wirklichkeit je wieder sein zu können. Nicht mehr nur diejenige mit dem Schicksalsschlag zu sein. So oft hab ich es gehört: du musst weiterleben, nach vorne schauen. Sätze, die die Alarmglocken bei verwaisten Eltern sofort schrillen lassen. Denn so lange gibt es scheinbar nur eine Richtung, und das ist immer nur die zurück, in die Vergangenheit.

 

Es dauert lange, bis der Punkt erreicht ist, an dem man es wagt, vorsichtig in die andere Richtung zu schauen. Gefühlte Ewigkeiten, nachdem man tausende Erfahrungen und Prozesse und Situationen durchlebt hat. Weil einem vielleicht auch irgendwann die Kraft für die Trauer ausgeht. Für mich war es unfassbar schwer zu erkennen, dass es mich auch noch gibt. Denn nicht nur mein Kind wurde betrogen, um tausende Erfahrungen und Gelegenheiten, um ein ganzes Leben, auch ich wurde es, auch wenn ich es oft vergessen hatte.

 

Es gibt auch diese andere Richtung. Nach vorne. Ich kannte sie lang nicht. Sie war mit meiner Gefühlslage inkompatibel. Aber es gibt sie. Trotzdem bin ich ohne dich nicht ganz. Trotzdem hängt mein Herz da irgendwo in der Vergangenheit fest, und es verbindet mich mit dir. Mein Herz ist hinter mir, wie ein Schatten, während meine Beine sich vorwärts bewegen. Auch wenn es für mich nicht mehr nur die Richtung zurück gibt, liebe ich dich mehr, als alles andere, ich hoffe so sehr, du weißt das. Ich wollte nie ohne dich weitermachen, aber ich muss es.

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Beatrice (Donnerstag, 17 Januar 2019 19:16)

    Möge sie immer mehr werden, die Kraft vertrauensvoll nsch vorne zu blicken. Und nach vorne blicken, bedeutet ja nicht zu vergessen. Euer Bussibär wird immer ein Teil von euch sein.
    Herzlichst


    Beatrice

  • #2

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Freitag, 25 Januar 2019 18:18)

    Liebe Bea!

    Vielen Dank für deine lieben Worte! So ist es definitiv! Wir schicken dir ganz liebe Grüße!

  • #3

    Steffi (Sonntag, 12 Mai 2019)

    Liebe Jasmin,
    seit diesem Beitrag sind nun einige Wochen/Monate vergangen.
    Ich wünsche dir so sehr, dass diese Schwere leichter wird. Die Farben wieder bunter, die Blicke meistens nach vorne gerichtet sind. Die Verbindung zwischen dir und eurem Jungen bleibt immer - denn die Liebe bleibt. Immer! Die Verbindung, anfängliche durch die Nabelschnur, ist magisch und das für immer!

    Alles Liebe zum Muttertag! Heute leuchtet ein Stern am Himmel wieder ganz besonders hell für dich!

    Herzliche Grüße,
    Steffi

  • #4

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Donnerstag, 22 August 2019 12:25)

    Liebe Steffi!

    Ich habe mich so sehr über deine lieben Worte gefreut, entschuldige, dass ich so spät erst antworte! Es ist so schön, wenn jemand am Muttertag an mich denkt!! Dieser Tag ist immer ganz besonders schwer zu ertragen. Du hast so schöne Worte gefunden!! Ja, die Verbindung zwischen Basti und mir wird für immer erhalten bleiben!! Denn es gibt ja keine stärkere Verbindung, als die zwischen Mama und Kind. Es gibt zum Glück diese Phasen, wo alles ein bisschen leichter zu ertragen ist, von denen du schreibst!

    Ich schicke dir ganz liebe Grüße!!!
    Jasmin